Reformation im O-Ton: Briefe
Ich müsste mir eigentlich zwei Schreiber oder Kanzlisten halten; denn den ganzen Tag tue ich nichts als Briefe schreiben... Ich bin Klosterprediger und Tischprediger, und auch für den Predigtdienst in der Pfarrkirche begehrt man mich täglich; außerdem bin ich noch Leiter der Studienanstalt unseres Ordens; ich bin Ordensvikar und verrichte damit die Geschäfte von elf Prioren; in Leitzkau muss ich die Fischpacht vereinnahmen und in Torgau die Sache der herzberger Mönche vertreten; ich halte Vorlesungen über Paulus, und außerdem stopple ich mir ein Kolleg über die Psalmen zusammen... Ihr seht, ich bin alles andre als faul! Ich muß fürchten, daß die gegenwärtige Pest den Fortgang der Vorlesungen unterbricht... unserm Nachbar gegenüber, dem Schmied, ist heute der erste Sohn begraben worden, der gestern noch gesund war, und der andere liegt von der Krankheit angesteckt darnieder. Kurz, die Pest ist da und beginnt unerwartet genug ihr rohes Handwerk... Ihr ratet mir... vor ihr zu fliehen. Aber wozu? Ich hoffe, dass die Welt nicht zusammenstürzt, wenn auch Frater Martinus dahinsinkt. Die Brüder werde ich freilich rings im Lande verteilen, wenn die Pest zunimmt. Mich aber hat das Geheiß des Gehorsams hierher gestellt... ich sehe dem Tode nicht furchtlos ins Antlitz; denn ich bin kein Apostel Paulus, sondern bloß ein Ausleger seiner Schriften; aber der Herr wird mich, daß hoffe ich, aus meiner Furcht herausreißen. Martin Luther, Brief an Johannes Lang, 1516 Die Auskünfte, die Ihr bisher von mir begehrt habt, war ich fähig oder vermessen genug, zu erteilen. Wenn Ihr aber nun einen Wegweiser für die Durchforschung der Heiligen Schrift verlangt, so geht das weit über meine Kräfte; suche ich doch für mich selbst vergebens einen Führer in diesem unwegsamen Gebiete... Zunächst ist unbedingt sicher, daß weder Fleiß noch Verstand zum vollen Verständnis der Heiligen Schrift ausreicht. Darum ist Eure vornehmste Pflicht, mit Gebet anzufangen und zu sehen, wenn es dem Herrn gefalle, durch Euch etwas zu seiner und nicht zu Eurer oder eines Menschen Ehre auszurichten, so möge Er Euch aus seiner großen Barmherzigkeit das rechte Verständnis seiner Worte verleihen... Ihr müßt also an der Macht Eures eigenen Fleißes und Verstandes verzagen und lediglich auf die Wirkung des göttlichen Geistes bauen. Trauet mir; ich habe es erfahren. Hat dann aber diese demütige Verzweiflung bei Euch festen Fuß gefaßt, lest die Bibel von Anfang bis zum Ende hindurch und prägt Euch zunächst den einfachen Gang der Ereignisse ein. Bei dieser Aufgabe... bietet Hieronymus eine treffliche Hilfe. Dagegen zur Erkenntnis Christi und der göttlichen Gnade, d.h. zum tieferen Verständnis des geistlichen Inhaltes, scheinen mir Augustinus und Ambrosius bei weitem dienlicher... Martin Luther, Brief an Spalatin, 1518 Als jüngst in unserer Gegend neue und unerhörte Lehren vom päpstlichen Ablaß laut wurden... da wurde ich von vielen... schriftlich und mündlich befragt, was ich von diesen überraschenden, um nicht zu sagen ungebührlichen Äußerungen hielte. Eine Weile suchte ich auszuweichen...Was konnte ich tun?... Um... beiden Teilen zu genügen, hielt ich es für den besten Ausweg... über einen so wichtigen Gegenstand zu disputieren... So ließ ich denn meine Thesen ausgehen, lud jedermann öffentlich zur Disputation ein... Denn es schien mir, als ob weder die Bibel und die Kirchenlehrer, noch auch die Kanones... gegen meinen Sätze sprächen. Mir wenigstens erscheint es so unbegreiflich wie nur etwas, daß in der Kirche Dinge gepredigt und gelehrt werden sollen, die nur geeignet sind, sie ihren Feinden zu Hohn und Spott preiszugeben... So forderte ich denn alle zu diesem Kampf heraus, doch niemand erschien. Dann bemerkte ich, daß meine Sätze in weitere Kreise drangen, als ich gewollt hatte, und allenthalben nicht als Thesen, sondern als Glaubenslehren aufgenommen wurden... Ich musste den Thesen Erklärungen und Auslegungen folgen lassen... Ich weiß, Christus bedarf meiner nicht und wird ohne mich kundtun, was seiner Kirche dient. Wenn das Werk nicht sein ist, soll es auch nicht mein sein... So erkläre ich... zu meiner Sicherheit, daß ich disputieren, nicht normieren wollte... disputieren voller Furcht, aber nicht vor den... Menschen, die selbst für ihre Hirngespinste Glauben fordern, als wären sie ein Evangelium. Nein, eben ihre Frechheit... hat mich gezwungen, meiner Furcht nicht nachzugeben. Wäre jene [Frechheit] nicht so gewaltig gewesen, hätte nur mein Engel mich hören sollen. Martin Luther an den Bischof zu Brandenburg, 1518 Die Ablaßkrämer donnern mächtig gegen mich von der Kanzel und finden kaum genug Schimpfnamen, mich damit zu belegen. Außerdem drohen sie und behaupten dem Volk gegenüber, ich würde innerhalb von vierzehn Tagen oder, wie ein anderer sagt, innerhalb eines Monats verbrannt werden. Gegen meine Thesen veröffentlichen sie Gegenthesen, so daß man fürchten kann, sich möchten noch einmal vor gar zu vielem und großem Zorn bersten. Endlich rät man mir von allen Seiten, die Reise nach Heidelberg zu unterlassen, damit mir die Feinde nicht einen Hinterhalt legen und so erreichen, was sie [sonst] nicht erreichen können. Ich werde jedoch trotzdem, meiner Pflicht gemäß, die Reise zu Fuß ausführen. Unser Fürst, der unserm neu und fest gegründeten Studium der Theologie sehr geneigt ist, nimmt ungebeten mich und Karlstadt in seinen Schutz und will mich auf keine Weise nach Rom schleppen lassen. Das wissen die Gegner zu ihrem Ärger gar wohl. Martin Luther an Johannes Lang, 1518